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Welche Texte erscheinen im Museum? Bericht von einer Tagung, Teil 2

Avatar of Michael Huter Michael Huter - 04. Dezember 2016 - Allgemein

"Text at the Museum", International Conference. Krakau: Nationalmuseum, 26. und 27. Oktober 2016

Wie immer man das Textthema auch betrachtet, gewisse Fragen ziehen sich durch: Für oder wider? Mehr oder weniger? Sind Texte ein notwendiges Mittel der Interpretation von Exponaten, die ohne sprachliche Vermittlung stumm bleiben? Oder sind Texte eine graue Schicht, die sich auf die Dinge legt und genau das zerstört, worum es Besucher_innen und Kurator_innen geht: die Erfahrung der Aura von Originalen?

In der Praxis stellen sich die Fragen nicht in der Schärfe. Dennoch sind die Positionen im Umgang mit Text spürbar und beeinflussen die Textökonomie einer Ausstellung ganz wesentlich. Dazu kommt, dass es zwischen verschiedenen Arten von Museen natürlich Unterschiede gint: Anders als Kunstmuseen, die einen gewissen Purismus kultivieren können, sind Wissens- und Geschichtsmuseen stark auf Texte angewiesen.

Agata Małodobry (Nationalmuseum Krakau) analysierte in Ihrem Beitrag den scheinbaren Widerspruch zwischen Kontemplation und Interpretation. Ein Beispiel: Die Pinakothek der Moderne in München präsentiert sich – zumindest im Internet – bewusst textfrei. Auf den Fotos der Ausstellungsräume sind alle Spuren von Text beseitigt.

In ihrem Eingangsstatement hatte Dorota Jędruch (Nationalmuseum Krakau) bereits Befunde aus der Psychiatrie erwähnt. Das Bedürfnis, mit dem Kunstwerk in unmittelbaren Kontakt zu treten, kann sich in pathologischen Fällen zum physischen Eindringen in Bilder steigern. Der Drang geht bei „normalen“ Besucher_innen sicher nicht ganz so weit, aber auch sie wollen den Dingen begegnen. Viele Kurator_innen streben ebenfalls nach Reinheit und fürchten nichts mehr als die „Textverschmutzung“. (So wie Lichtsmog die Sterne zum Verschwinden bringt, so reduziert Text das Leuchten der Exponate, könnte man sagen.)

Mit Bildern aus dem Psychologielehrbuch illustrierte Dorota Otwinowska (Nationalmuseum Krakau) die – aus dem Reiseführer bekannte – Erkenntnis Goethes: "Man sieht nur, was man weiß." Nur wer weiss, dass sich in den Tuschetupfen auf dem Blatt ein Dalmatiner versteckt, sieht ihn auch. Ohne kuratorische Texte, heißt das, sieht man den Dingen nicht an, was sie im Kontext der Aussstellung sagen sollen.

Eigentlich eine triviale Tatsache, in der Praxis aber dennoch oft ignoriert: Nur was im Kurzzeitgedächtnis haften bleibt, kann auch ins Langzeitgedächtnis wandern. Schon aus diesem einfachen Grund, so Otwinowska, sind Kurator_innen sind gut beraten, auf die Verständlichkeit von Texten zu achten. Unnötig komplizierte Texte können der Grund sein, dass Besucher_innen schon beim Verlassen der Ausstellung die Botschaft vergessen – wenn sie nicht schon während des Besuches den Faden verloren haben. Kohärenz und Sinn entstehen nur wenn die Besucher_innen kooperieren. Vorausgesetzt, man lässt sie.

Die Diskussion drehte sich aber nicht nur um die Fragen, ob Text nun gut oder böse ist und wo Verständlichkeit beginnt oder endet. An die Erkenntnis, dass die Vermittlung von Wissen immer auch eine Machtfrage ist, knüpfte sich Kritik am Sprachgebrauch von Ausstellungstexten. In diesem Zusammenhang präsentierten Isabelle Fiedler und Olivia Harrer (MAK Wien und Künstlerhaus Wien) ihr Modell eines kommunikativen Museums und einer konsensorientierten Museumskommunikation.

Als Bildungseinrichtungen sprechen Museen mit Ihrem Publikum wie mit Unmündigen und Bedürftigen. Die Institution bestimmt, welche Fragen gestellt und beantwortet werden und was überhaupt zur Sprache kommt. Sie legt einseitig fest, wie groß das Wissensgefälle ist und entmündigt damit die Besucher_innen. Nachdem eine sprachlose Ausstellung aber keine Option ist, soll die Institution offenlegen, wer hier spricht und aus welcher Perspektive.

Dass Besucher_innen auch ihren eigenen „Text“ produzieren können, zeigte Nathaniel Prottas (Wien Museum, Wien). In seinem Beitrag „Against Texts: Dialogical Engagement without Texts” verband sich die Kritik an einer unreflektierten Museumspädagogik mit einem Beispiel alternativer „Kunstvermittlung“. Ohne Text, d. h. ohne Information und Interpretation „von oben“ und nur von einem Moderator unterstützt, sucht eine Gruppe ihren Zugang zum Kunstwerk. Vorwissen und Eindrücke kommen dabei buchstäblich zur Sprache und verbinden sich zu einer – dem Gegenstand und seinen Betrachter_innen angemessenen – Erfahrung.    

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