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Texte einer Ausstellung

Avatar of Michael Huter Michael Huter - 11. Dezember 2016 - Literatur

Ravell, Luise J. (2006): Museum Texts. Communication Frameworks. London and Newyork: Routledge (= Museum Meanings)

Luise J. Ravelli war dabei, als sich das Australia Museum in Sidney seinerzeit neue Richtlinien zur Textgestaltung gab. Mehr als zehn Jahre später lieferte die Linguistin dann mit diesem Buch die Theorie dazu. Sie zeigt darin, wie im Museum über kommunikative Prozesse Bedeutungen zustande kommen. Es ist also kein ‚how-to’ guide und enthält auch keine Ratschläge und Empfehlungen. Dennoch handelt es sich nicht um reine, sondern um praktische Theorie: Die Autorin sagt, worauf es ankommt, wenn Museen mit ihren Zielgruppen erfolgreich kommunizieren wollen.

Die Analyse konzentriert sich auf jenes Medium, über das die Institution „Museum“ mit der Öffentlichkeit kommuniziert: die Ausstellung. In der Ausstellung sind wiederum Texte eine unverzichtbare Ressource. Über geschriebene oder gesprochene Texte entstehen nämlich Bedeutungen, die ohne sie verborgen blieben: objects do not speak for themselves, sie können nicht für sich stehen und müssen kontextualisiert werden, wenn die Ausstellung ein breiteres Publikum erreichen soll.

Aber auch die Ausstellung selbst kann als Text gelesen werden: An exhibition [...] is a meaningful text: it is a space that visitors move through, and a space which they ‚read’. Die ausgestellten Objekte ergeben – zusammen mit Elementen der Gestaltung und den sprachlichen Texten – das sinnvolle Ganze einer dreidimensionalen Komposition. Der Einsatz von Farbe und Licht, der Raum und die Möglichkeiten, sich darin frei oder entlang eines „Vektors“ zu bewegen, tragen entscheidend dazu bei, dass sich das Bedeutungspotential im „Text“ der Ausstellung entfaltet.

Fragen der Gliederung

Im Vordergrund stehen die sprachlichen Texte. Fragen der Gliederung werden dabei prominent behandelt. Die Wahl des Textmusters (genre) ist dafür ausschlaggebend. Je nachdem ob es sich um einen beschreibenden, einen erklärenden oder argumentativen Text handelt, variieren auch die Gliederungsmuster. So wie einzelne Texte oder Textgruppen können auch ganze Ausstellungen einem Vertextungsmuster zugeordnet werden. Ausstellungen sind dann eher „Makro-Beschreibungen“, „Makro-Erzählungen“ oder – wie auch der einzelne Text – eine Kombination aus mehreren Mustern. 

Auf der mittleren Ebene können Überschriften und Themensätze (topic sentences) oder Fragen die wichtigsten Punkte eines ganzen Textes oder eines Absatzes ankündigen. Die Leser_innen sind dadurch in der Lage, die Inhalte vorherzusehen. Typographie und Layout unterstützen die Gliederung zusätzlich: Breaking the text up with sub-headings may make complex content more easy to digest. Auf der Ebene der Ausstellung hat der Einleitungstext übrigens dieselbe Funktion wie der Themensatz für den einzelnen Text: Inhalte vorzustrukturieren und die Gliederung explizit zu machen.

Auf der Mikroebene – im „Textinneren“ – geht es um die Fragen, wie die Sätze  gebaut sind und was sie zusammenhält. Entscheidend ist, dass sich die Information bruchlos vom Bekannten zum Neuen entfaltet. Beim Überarbeiten kommt es darauf an, die Bruchstellen (points of breakdown) zu erkennen und durch etwas „Textmassage“ (some ‚massaging’ of the text) für einen kontinuierlichen Informationsfluss (smooth flow of information) zu sorgen.

Kritik an Mythen

Hier, auf der Mikroebene der Formulierung, räumt die Autorin auch mit verschiedenen Mythen auf, die sich festgesetzt haben. Regeln wie „Kein Satz länger als soundsoviel Wörter, „Kein Passiv“, „Keine Fachausdrücke“ lassen sich ohne Kontext überhaupt nicht begründen: The degree of accessibility of a text simply cannot be measured with a fixed set of rules nor any magic (or scientific!) formula. Verständlichkeit ist relativ. Jedenfalls ist Vorsicht geboten, wenn laienhafte Sprachkritik die Normen für professionelle Textproduktion vorgibt.

Weil es keine allgemeingültigen Regeln bei der Textproduktion gibt, lassen sich nur Rahmenbedingungen und Optionen dafür angeben. Die Komplexität und Fachlichkeit von Texten sind ebenso gestaltbar wie die darin eingeschrieben Leser- und Autorenrollen und die Bezüge zur Realität. Texte können fachlicher sein oder populärer, das Verhältnis zwischen Leser_innen und Autor_innen näher oder distanzierter. Es kommt darauf an, aus verschiedenen Optionen die geeigneten Mittel zu wählen. Dass die Autorin selbst für interessante und verständliche Texte eintritt, die nicht den Anspruch auf Wahrheit erheben und die Leser_innen bevormunden, ist klar, aber hier nicht ihr Thema.     

Alle Textmerkmale von sind das Ergebnis von Entscheidungen, auch wenn sie noch so allgemein akzeptiert zu sein scheinen wie etwa eine objektive und neutrale Darstellung: Even texts which seem to be impersonal and distant, entirely neutral by conventional standards, also manifest choices from within the interactional framework. Objektive Wahrheit existiert nicht und ein neutraler Stil ist das Ergebnis einer Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten. Scheinbar objektive Texte sind nur so kostümiert (dressed up), als wären sie es.

Die Wahl der sprachlichen Mittel ist entscheidend vom Kontext der Ausstellung und der Institution abhängig. Texte sind mehrfach eingebettet, in die unmittelbare Umgebung der Ausstellungstücke und der Ausstellung und in ihr eigenes textliches Umfeld: One is the context of the exhibit or exhibition, of which the text is a part, and the orientation or point of departure of the text needs to connect with that in some way. The other is the overall context of the text, and how the meanings flow from one clause to the next. Die Texte einer Ausstellung sind Teil eines Systems, in dem sie horizontal und vertikal miteinander und mit den Dingen verbunden sind.

Wenn Texte ihre Kraft entfalten sollen, dann müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, vor allem eine: Every text must have an explicit and clear purpose. Ohne ausdrückliche Angabe des Zwecks schreiben die Autor_innen wie in einem Vakuum. „Zweckfreie“ Texte lassen sich außerdem auch nicht evaluieren. Und weil jeder Text alle Dimensionen der Kommunikation zwischen Institution und Besucher_innen enthält, ist die Textproduktion keine Nebensache: text production is itself a meaning making process and needs to be integrated as a fundamental component in the developement of  an exhibition. Das ist das eigentliche Thema.

Michael Huter

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