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Besser weniger als zuviel

Avatar of Michael Huter Michael Huter - 01. Februar 2017 - Literatur

Tilden, Freeman: Interpreting Our Heritage (2008): Fourth Edition, Expanded and Updated. Edited by R. Bruce Craig. The University of North Carolina Press: Chapel Hill

Das Buch ist ein Klassiker der Kultur- und Naturvermittlung und erstmals 1957 erschienen. Der Autor Freeman Tilden (1883–1980) war ursprünglich Journalist und Schriftsteller. Seine eigentliche Mission war aber, Amerika sein kulturelles Erbe nahezubringen. Jahrzehntelang hat er sich in Nationalparks, Gedenkstätten und Museen in den USA für die Besucherkommunikation eingesetzt, Mitarbeiter ausgebildet, Programme entwickelt und dazu publiziert. In seinem Buch geht er ausführlich auf die Textarbeit ein.

Die zentrale Botschaft klingt einfach: Vermittlung [interpretation] bewirkt, dass die Dinge den Besucher_innen etwas bedeuten. Vermitteln heißt, eine Beziehung zwischen den Dingen und den Menschen herzustellen. Und: Vermittlung umfasst nicht nur die Dinge selbst, also Landschaften, Naturdenkmäler, Kunstwerke, Schlachtfelder, historische Gebäude und Museen, sondern auch die Art, wie sie den Besuchern nähergebracht werden – in Wort und Bild, durch Personen und Medien – kurz, mit allen verfügbaren Mitteln.

Dabei geht es um nichts Geringeres, als den Geist hinter den Dingen und in sich selbst zu entdecken. Nicht nur eine Vorstellung vom kulturellen Erbe sollte den Besucher_innen vermittelt werden, sondern auch und vor allem ein Bewusstsein ihrer selbst. Der romantisch-idealistische Anspruch hindert Tilden aber nicht, die Dinge recht realistisch anzugehen.

Es beginnt damit, dass er sich über die Motive der Besucher_innen keine Illusionen macht: They come frequently with mere idle curiosity, or to kill time, or from boredom. Sie bringen meist auch kein Vorwissen mit: The visitors [...] have seldom any expert, or even moderate knowledge, [...]. Was Besucher_innen suchen, ist Unterhaltung [entertainment] und Vergnügen [enjoyment]. Aus welchen Gründen sie auch kommen, eines steht fest: the visitors are there. Und genau stellt sich die Grundfrage: Was interessiert die Besucher_innen, wenn sie schon einmal da sind? Die Antwort: the visitor’s chief interest is in whatever touches his personality, his experiences, and his ideals.

Texte [inscriptions] haben die Aufgabe, den Besucher_innen zu sagen, was und warum sie die Dinge etwas angehen. Beim Schreiben zählt daher nicht, was der Autor sagen möchte, sondern was die Besucher_innen erfahren wollen. Dazu gehört auf jeden Fall Information, aber Fakten, Zahlen, Daten und Definitionen allein genügen nicht. Vermittlung erschöpft sich auch nicht in Belehrung [instruction]. Für Leute, die auf Urlaub sind, bedeutet Pädagogik Langeweile. Vermittlung ist mehr und etwas anderes, nämlich: Provokation, sich auf die Dinge und sich selbst einzulassen.

Man könnte meinen, jetzt folge die Forderung nach hohem Stil und sprachlichem Pathos. Das Gegenteil ist der Fall: Let us cultivate the power that lies in understatement. Zurückhaltung ist oberstes Gebot, denn: An object [...] is not made more beautiful by being called beautiful. Man muss wissen, was genug ist, und besser weniger als zuviel sagen (nothing in excess). Will man Leute erreichen, die auch noch im Stehen lesen müssen, dann gibt es nur eines: Kürze. Wer gut schreiben will, muss etwas haben, das man hauptsächlich bei Dichtern und Werbeleuten findet: das Gefühl für die Verdichtung von Wörtern [an instinct for compression of words.] Kürze darf freilich nicht auf Kosten von Stil und Inhalt gehen, also kein Telegrammstil und lieber etwas weglassen, als es zu erwähnen, ohne es zu erklären.

Gute Texte zu schreiben, ist solides Handwerk und im besten Fall sogar Kunst. Wem das Gefühl für sprachliche Bewegung (element of movement) und eine Leichtigkeit im Ausdruck (lightness of touch) abgeht, soll es lieber überhaupt bleiben lassen. Über Forderungen nach „Verständlichkeit“ und „Leserfreundlichkeit“ von Texten hat sich der Vermittler Tilden wahrscheinlich nur gewundert. Benutzerorientierung ist nicht etwas, das noch dazukommt, sondern das Wesen von Vermittlung. Letztlich läuft aber alles darauf hinaus: you must be in love with your material, and you must be in tune with your fellow man. Idealistisch, aber gut.   

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